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Junge Erwachsene ohne Perspektive - wie pHKP helfen kann.

Veröffentlicht am 9. August 2025 · tapp-Gesundheitsdienste

 

Viele junge Erwachsene zwischen 20 und 25 Jahren, die keine Ausbildung begonnen oder abgeschlossen haben, kämpfen mit Depressionen, Angst und Antriebslosigkeit – eine späte Folge der Corona-Pandemie. Psychiatrische Pflege kann hier niedrigschwellig stabilisieren und Perspektiven eröffnen.

 

Psychiatrische Pflege Junge Erwachsene Depression Post-Covid-Folgen

 

Eine Generation zwischen Stillstand und Unsicherheit

Seit der Corona-Pandemie begegnen wir immer häufiger einer stillen, aber wachsenden Gruppe junger Erwachsener: Menschen zwischen 20 und 25 Jahren, die keine Ausbildung abgeschlossen haben, häufig wieder bei den Eltern wohnen und kaum noch den Mut finden, nach vorne zu blicken.

Viele dieser jungen Menschen waren schon vor der Pandemie mit Unsicherheiten konfrontiert – doch die langen Monate von Kontaktbeschränkungen, Homeschooling, unterbrochener Ausbildung und fehlender sozialer Anbindung haben ihre Lebenswege abrupt gestoppt.

Heute hören wir von Eltern oft ähnliche Sorgen: „Mein Sohn verlässt kaum noch das Haus.“ – „Meine Tochter schläft bis mittags, hat keine Struktur mehr.“ – „Bewerbungen? Das schafft er im Moment einfach nicht.“

 

Warum psychiatrische Pflege hier so wichtig ist

Psychiatrische Pflege setzt genau dort an, wo Motivation, Struktur und Perspektive verloren gegangen sind. Anders als rein medizinische Behandlung versteht sie sich als alltagsnahe, kontinuierliche Begleitung – direkt im Lebensumfeld der Betroffenen.

 

Wir sehen nicht nur die Diagnose, sondern den ganzen Menschen mit seinen Fähigkeiten, Ängsten und Bedürfnissen. Gerade für junge Erwachsene ohne Ausbildung ist diese individuelle, geduldige Arbeit entscheidend, um wieder Schritte in Richtung Selbstständigkeit zu gehen.

 

Was wir konkret tun – aus der Praxis

 

1. Struktur und Tagesrhythmus wieder aufbauen

Oft beginnt alles damit, wieder eine feste Tagesstruktur zu schaffen: Wir kommen zu vereinbarten Zeiten, helfen beim Aufstehen, unterstützen bei der Körperpflege, begleiten zum Einkaufen. Diese scheinbar kleinen Schritte sind oft der Schlüssel, um Antriebslosigkeit zu überwinden.

 

Beispiel: Ein Klient, 23 Jahre alt, lebte seit zwei Jahren ohne Arbeit oder Ausbildung bei seinen Eltern. Wir starteten mit drei Terminen pro Woche – Ziel: feste Aufstehzeit um 9 Uhr, Frühstück, anschließend ein kleiner Spaziergang. Nach wenigen Wochen konnte er wieder selbständig diese Routine halten.
 

In anderen Fällen dauert es deutlich länger und ist mühsam, überhaupt einen Zugang zu finden. Manche junge Erwachsene lassen zunächst kaum Nähe zu, brechen Termine ab oder reagieren abweisend. Für Angehörige und auch für uns als Fachkräfte kann das an die Grenze der Geduld – manchmal sogar an den Rand der Verzweiflung – führen.

 

Ein entscheidender Vorteil der psychiatrischen Pflege ist dabei, dass wir eine andere Rolle als die Eltern einnehmen können: neutral, ohne die emotionale Vorgeschichte, mit einem klaren Auftrag zur Unterstützung. Dadurch gelingt es oft, Situationen zu deeskalieren, Erwartungen realistisch zu setzen und Schritte zu ermöglichen, die innerhalb der familiären Beziehung schwer erreichbar wären.

 

2. Motivation und Selbstvertrauen stärken

Viele junge Erwachsene haben durch wiederholte Misserfolge das Gefühl verloren, überhaupt etwas schaffen zu können. Wir setzen hier auf erreichbare Etappenziele – zum Beispiel eine kurze Busfahrt allein, ein vereinbarter Termin beim Jobcenter oder das Kochen einer Mahlzeit. Wir feiern Fortschritte – jedes Erfolgserlebnis ist ein Baustein für neues Selbstvertrauen.

 

3. Soziale Kontakte und Teilhabe fördern

Isolation verstärkt Depressionen. Wir begleiten zu Treffen mit Freunden, zu Sportgruppen oder Kursen. Manchmal helfen wir, Ängste vor fremden Situationen zu überwinden, indem wir zuerst gemeinsam hingehen und uns später schrittweise zurückziehen.

 

4. Brücken zu Ausbildung und Arbeit schlagen

Wenn die Stabilität zunimmt, vernetzen wir mit Jobcentern, Bildungsträgern oder Praktikumsstellen. Wir unterstützen beim Ausfüllen von Anträgen, beim Erstellen von Bewerbungen und begleiten zu Vorstellungsgesprächen – solange, bis der Betroffene sich sicher genug fühlt, diese Schritte alleine zu gehen.

 

5. Eltern entlasten

Für Eltern bedeutet die Situation oft Daueranspannung. Wir bieten nicht nur Entlastung, indem wir Zeit mit dem jungen Erwachsenen verbringen, sondern auch Beratung: Welche Unterstützungsangebote gibt es? Welche nächsten Schritte sind realistisch? Wie kann die Familie den Fortschritt fördern, ohne zu überfordern?

 

Unser Ziel: kleine Schritte, große Wirkung

Psychiatrische Pflege ist kein „Schnellprogramm“. Aber mit Geduld, Vertrauen und klaren Strukturen sehen wir, wie junge Menschen langsam wieder Verantwortung für ihr Leben übernehmen – und Eltern zuversichtlicher in die Zukunft blicken. Manchmal ist der erste Erfolg, dass jemand wieder regelmäßig duscht und pünktlich aufsteht. Manchmal gelingt nach Monaten ein Minijob oder ein Einstieg in eine Maßnahme. Jeder Fortschritt zählt – und genau hier liegt unsere Stärke.

 

Hintergrundzahlen

  • Depressive Symptome: Der Anteil Erwachsener mit auffälligen depressiven Symptomen stieg von 7,5 % (2020) auf 14,8 % (2023).1
  • Arbeitsunfähigkeit: Psychisch bedingte Fehltage erreichten 2022 einen Höchststand (301 Tage je 100 Versicherte; +48 % gegenüber 2012).2
  • Versorgungsrealität Depression: 2022 waren rund 9,5 Mio. Menschen (12,5 %) wegen Depressionen in ärztlicher Behandlung.3

 

Quellen

  1. Walther L. et al. (2025): Trends in depressive symptoms in Germany's adult population 2008–2023. Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology. DOI: 10.1007/s00127-025-02965-6.
  2. DAK-Gesundheit (2023): Psychreport 2023 – Arbeitsausfall aufgrund psychischer Erkrankungen.
  3. WIdO – Gesundheitsatlas Depressionen (2024/2022): 12,5 % der Bevölkerung ab 10 Jahren in Behandlung wegen Depressionen (2022).